Gotha/Suhl. (tlz) Enttäuscht sind die Musiker der Thüringen Philharmonie natürlich, hoffnungslos aber nicht. Für Klagegesänge in Endzeitstimmung gibt es trotz des Suhler Votums, aus der Trägerschaft und Finanzierung auszusteigen, keinen Grund. Monatelang haben die Künstler um ihre Existenz bangen und ringen müssen. Nun, kurz vor dem Ziel, trifft sie dieser Schlag ins Kontor.
"Wir fühlen uns auch verraten, weil es eigentlich nicht ums Geld geht", sagte Betriebsratsvorsitzender Rainer Suschka gestern der TLZ. Die eingesparte halbe Million werde den Suhler Haushalt sicher nicht retten. Der gelernte Oboist muss erkennen, dass in der Südthüringer Provinzstadt es "politisch nicht gewollt" sei, ein Orchester zu haben.
"Damit hat Suhl sich aus der Reihe der Kulturstädte verabschiedet", assistiert Hermann Breuer, der künstlerische Direktor des Orchesters. Obwohl jetzt eine schmerzliche Lücke in seiner Finanzplanung ab 2009 klafft, gibt er sich optimistisch: "Es ist kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen - im Gegenteil: Da müssen wir noch mehr kämpfen."
Derzeit teilen sich bei der Thüringen Philharmonie 74 Musiker in 66 Planstellen. Wie viele es künftig sein werden, weiß derzeit noch niemand genau. "Es wird ganz scharf gerechnet", versichert Gothas Oberbürgermeister Knut Kreuch (SPD). Aber auf jeden Fall wird die kleine Kulturstadt ihr Traditions-Orchester aufrecht erhalten. "Musik bleibt in Gotha", erklärte Kreuch gestern unmissverständlich. Sein Stadtrat hat beschlossen, den Zuschuss um 120 000 Euro auf eine halbe Million zu erhöhen. Nun schlägt Kreuch vor, dass der Gothaer Landkreis seinen Obolus ebenfalls um ein Dritten aufstocken möge.
Stellenkürzung ist nun unausweichlich
"Natürlich können wir den Suhler Beitrag nicht kompensieren", räumt Kreuch ein. Er hofft jedoch, dass sich aus der Kooperation mit der Oper Erfurt noch Synergieeffekte ergeben. "Wir wollen den Musikern, die geblutet und gedarbt haben, eine Perspektive geben." An Stellenkürzungen wird man dennoch nicht vorbeikommen. Von bis zu 15 finanzierten Plätzen ist nach ersten Schätzungen die Rede.
Somit wäre romantische Konzertliteratur nur noch bedingt spielbar, und eine reduzierte Programmfähigkeit bedeute auch Einnahmeverluste, schwant Bärbel Schreyer, der Trägervereins-Vorsitzenden. Trotzdem: "Wir werden ein symphonisches Orchester bleiben." Denkbar wäre es, dass man die Kooperation mit Erfurt nun in beide Richtungen ausgestaltet und große Erfurter Konzertprogramme in Gotha teilweise nachspielt. Aber: "So konkret sind die Gespräche im Moment noch nicht", wiegelt Schreyer ab.
Immerhin lässt sich - trotz aller Unkenrufe - Kultusminister Jens Goebel (CDU) vom Suhler Votum nicht beeindrucken. "Wir stehen zu unserer Zusage der Finanzierung mit 1,15 Millionen Euro", bekräftigte sein Sprecher gestern. Die erst vor ein paar Wochen getroffene Vereinbarung mit dem Trägerverein sehe als Bedingung lediglich die Kooperation mit Erfurt vor. Dass die Fördersumme des Freistaats aufgestockt würde, ist indes unwahrscheinlich. "Die Frage ist noch nicht an uns herangetragen worden", sagte der Ministeriumsmann vorsichtig.
Verärgert ist Breuer über den Mitteldeutschen Rundfunk, weil der Sender mit seinen großen Klangkörpern seit dieser Spielzeit eine eigene Konzertreihe im Suhler Kongresszentrum anbietet. "Ein krasser Fall von Wettbewerbsverzerrung", wettert der Gothaer Orchestermanager mit Blick auf die mit GEZ-Gebühren subventionierten Ticketpreise des MDR.
So wird die stolze Thüringen Philharmonie, die noch vor fünf Jahren 86 Kräfte zählte, fast auf die Besetzung ihrer Gründungszeit vor 350 Jahren zurückgestutzt. Der größere Verlust betrifft jedoch die Suhler Bürger, die den kurzsichtigen Beschluss ihrer Kommunalpolitiker büßen. Denn wer denkt, dass ein Orchester nicht mehr leiste als ein Dutzend Konzerte pro Saison, irrt gewaltig. Eine komplette Infrastruktur bricht in Suhl nun zusammen.
Oboer Rainer Suschka erzählt zum Beispiel, dass Orchesterkollegen den Musikunterricht an Suhler Schulen zum Teil übernommen hatten. "Das Tollste, was wir in den letzten Jahren fertiggebracht haben", nennt er dieses soziokulturelle Engagement. Und er weiß, wie es ist, etwa mit einem Bläserquintett in einer Klasse aufzutreten, die Instrumente zu erklären und die Mädchen und Jungen selbst mal probieren zu lassen: "Die Kinder spüren, wie schön die Musik eigentlich ist."
27.09.2007 Von Wolfgang Hirsch
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